Björk. Bastards

Björk.
Bastards.
One Little Indian.

Mit ihrem 2011er Album „Biophilia“ hat Björk, die immer schon fröhlich grinsend an der Grenze klassischer Musikpräsentation zu kratzen pflegte, einen wunderbaren und äusserst schmackhaften Multimedia Kuchen angerichtet. „Bastards“ ist eine Auswahl von Remixen aus diesem Album, die schon seit Beginn 2012 nach und nach releast wurden. Die Künstlerin kommentiert hierzu in typisch verschmitzter Manier: „Mehr Beats, die Stücke haben jetzt Beine, auf denen sie tanzen können“… ???… also, um da gleich mal die Sahne vom Kuchen runterzuwischen, ein Dance Album ist „Bastards“ ganz bestimmt nicht, und das ist schade. Die 13 Tracks sind ein kunterbuntes Allerlei aus bekannter björk’scher Küche, auch wenn so illustre Herrschaften wie Hudson Mohawk oder Matthew Herbert ein wenig den Teig modifizieren durften. Es fällt einfach schwer der dauerjung ewiggleichen Back- und Umrührfreude der Dame mit der gehörigen Aufmerksamkeit beistehen zu wollen, gerade weil es anderen, in die Jahre gekommenen Künstlern durchaus gelingt, ihre Waren weiterhin mit ordendlichem Applaus an die Kundschaft zu bringen. Das liegt wohl unter anderm daran, dass sich diese einfach weiterentwickeln. Zurück bleibt eine gewisse Form von Wohlwollen und der Respekt vor Leuten denen das so gefällt. Der Arab-electronica Remix von Omar Souleyman zu „Thunderbolt“ sei dann aber doch noch lobend zu erwähnen, da zupfts durchaus am Bein, doch, doch…

Flying Lotus

Flying Lotus.
Until The Quiet Comes.
Warp.

Es gibt Frauen, die hinter vorgehaltener Hand von Igor, dem Masseur mit den gegenläufig kreisenden Fingerspitzen wispern, wohlig, mit halb geschlossenen Lidern und angekrümmten Rücken. Man weiss nicht, ob dieser Mythos aus den USA kommt, oder umgekehrt, er es bis dorthin geschafft hat weitergetuschelt zu werden. So liesse sich zumindest ansatzweise erklären, warum es Steven Ellison aka Flying Lotus anhaltend gelingt, mit der Kraft der zwei in Tempo und Tune gegenläufigen Plattenspielern die Kritiker und das Publikum zu derart orgasmischem Getöne zu verzücken. Es bedarf weiterhin keiner grösseren Anstrengung um den kindlich-sentimentalen Wunsch der aufgeklärten Musikspezialisten nach immer neuen, imaginären Kleidern des Kaisers sowohl verstehen zu können, als gleichwohl den sinnlichen Vorteilen der Anbetung messianischer Grösse nicht wohlwollend gegenüber zu stehen.

Nebelhaft schimmernde Genre Zersplitterung und deren zeitgleiche, brüchige Rekonfiguration zieht sich wie bei den beiden Vorgängern „Los Angeles“ und „Cosmogramma“ durch dieses Album. Verschiedenste Spielarten des Jazz äugen blinzend vom Wegesrand, ab und an aufgenommen von Flying Lotus‘ typischer Bocksprung Beat Programmierung. Die verwendeten Samples klingen holprig und, wie kann man einen Kaiser auch anders deuten mögen, gewollt schmutzig und mit grosszügiger Geste meisterlich drapiert. Manchmal dürfen auch durchaus bekannte Vokalisten wie Erykah Badu und Thom Yorke vor des Meisters Mikrofon scharren, was aber eher wie eine nicht zu ernst zu nehmende, grosszügige Beiläufigkeit daherkommt.

Nach vier Albenseiten verbleibt der Hörer in einer eigenartigen Stille, die zwar ob der multiplen Soundsensationen unterschwellig herbeigesehnt, dennoch aber viel zu schnell einzutritt. Das neue Werk „Until The Quiet Comes“ wäre dann in Würde und Ehrfurcht zu den anderen musikalischen Entäusserungen des Herren dezent in die Sammlung zu schieben, keimte da nicht zaghaft die Erkenntnis auf, dass diese Reaktion nicht neu und die anderen Alben ähnliche Distanz und Divergenz hinterliessen. Hinzu kommt noch, auch das ist allen FlyLo Releasen verwandt – ein Track schwebt weit oben über dem fluffigen Gesummse, so in diesem Fall „Phantasm“, das Restalbums bildet den nötigen, durchaus potenten Nährboden – den Hofstaat sozusagen.

Vermutlich haben alle einen, in welchem Medium auch immer, solcherart still verehrten Unantastbaren, dem man sich nicht wirklich annähern kann, dieser Nähe aber unbedingt bedarf und ihn gerade darum noch mehr in traumverlorene Wolkengipfel entrückt. Klugerweise hat Flying Lotus 2008 sein eigenes Label Brainfeeder gegründet, dessen Producer eifrig, aber nicht zuviel an seinen Skills lecken dürfen, um gerade so das Quentchen Salz für ihre Produkte einsaugen zu können, das den Stoff des Kaisers zwar wage erahnen lässt, die wahre Grösse des Meistern aber nur noch weiter erhöht.

Various

Various Artists.
Sonar Kollektiv – 15 Years Of Volxmusik.
Sonar Kollektiv.

„Reborn into a new inner dimension“, diesem Textzitat aus Ena Wadans hier auf dieser Compilation vertretenen Track „Reborn“ würde ich nur allzu gerne glauben. Es geht hier schliesslich um die Jubiläums Show, 15 Jahre Sonar Kollektiv, und was könnten hier alles für prominente Pferdchen in der Manege den Staub aufwirbeln, Forss, Dimlite, Fat Freddy’s Drop, Àme, Ulrich Schnauss und so weiter – es ist schon erstaunlich wer bei diesem Berliner Label alles das Publikum zu Begeisterungsstürmen hingerissen hat, nebst den Gründervätern selbst natürlich, Jazzanova. Ist es wirklich schon so lange her, dass man bei deren Dj Sets alle fünf Minuten dort nerven ging, um in Erfahrung zu bringen, was da gerade läuft? Es ist. Das ist insofern doppelt traurig, weil ich allein schon beim zweiten Track von „15 Years Of Volxmusik“, einer unfassbar erbärmlichen Kate Bush Coverversion, schreiend aus dem Laden gerannt wäre… Auch das ganze Restangebot klingt eher wie Sektkorken zum Fünfjährigen, anno 2002. Ein schöner Lichtblick sei noch erwähnt, Micatone mit Lisa Bassenge. Zeitlos muss man eben auch können.

Kreng

Kreng.
Works For Abattoir Fermé – 2007 – 2011.
Miasmah.

Anlässlich seines zwanzigsten Jubiläums veröffentlicht das Berliner Imprint Miasmah eine 4 LP & 10″ Box des belgischen Schauspielers und Produzenten Kreng . Enthalten sind ausgewählte Arbeiten des umtriebigen Artists für die international renomierte Theatergruppe Abattoir Fermé, Tracks für deren TV Serie „Monster“, sowie Rohversionen aus seinen beiden ersten Releasen „L’autopsie Phénoménale De Dieu“ und „Grimoire“. Auf acht Albenseiten breitet sich das samplebasierte Frühwerk Kreng’s in voller Länge aus, die rough’n’dirty gehaltenen Ambientdrones zupfen genüsslich an unseren mittlerweile etwas durchhängenden, an Cinematographischem überstopften Ohren. Selbst schauspielernder Teil Abattoir Fermés, hat der Künstler ein subtil schwarz gefärbtes Näschen für Dramatik. Ab und an auflaufende Überlängen entstehen durch die (wie bei vielen Theatermusiken und Scores) fehlende, begleitende visuelle Darbietung, stören aber nicht wesentlich. Schwierig wird es dagegen mit den „Monster“ Stücken auf der beiliegenden 10″, deren allzu wuschig angelegte 60’s-psy-fi-B-Movie Elemente wirkliche Gelassenheit abnötigen. Um dem glühenden, oder gerade frisch anglimmenden Kreng Fan einen schlüssigen Schaffenseinblick zu gewähren, würde ich eher die Kreng EPs „The Pleiades“ und „Zomer“ (auf Fant00m releast) in die Box legen, aber… jenun… die restlichen 180 (!!!) Minuten Material lassen da gerne über diese Stolperscheibe hinweghören.

Animal Collective

Animal Collective.
Centipede Hz.
Domino Records.

Beim ersten Hören von „Centipede Hz“ hat mich die Musik so wuschig gemacht, dass mir umgehend bei der Arbeit zwei kapitale Fehler unterlaufen sind, ich bin multitaskingfähig, so glaubte ich bis dato. Zugegebenermassen waren diese Fehler weniger Fehler, sondern durchaus interessante Variationen, geboren aus dem absoluten Zurückschrecken vor blanker Hysterie. Jetzt hat dieses Album natürlich wenig mit dem britischen Vibrator-Geburtsmythos Film „Hysteria“ aus dem vergangenen Jahr zu tun, wiewohl ein Satz Wubbler in den Hosen des Kollektives sehr wohl erklären würde, warum die Herren wie wild die Bananen samt sich selbst vom Baum schütteln. Da steckt soviel Brit, soviel Inselaffe drin, dass es schwer vorstellbar ist, dieses Produkt komme direkt aus Baltimore, USA. Wenig verwunderlich ist es auch dass meine Kollegen aus der Redaktion in wilder Panik kreischend hinter den Schränken verschwinden, das ist PROG in Reinkultur und der einzige der sich hinter dem Mikrofon so derart erregen konnte ist Steve Harley mit seinen Cockney Rebel. Leider sind mir dann beim mehrmaligen weiteren Hören keine wegweisenden Fehler mehr unterlaufen, sondern nur noch wohlige Schüttelanfälle… egal. Gross das!!!

Jakob Bro, Thomas Knak

Jakob Bro, Thomas Knak.
BRO /KNAK.
Loveland Records.

Der dänische Gitarrist und Komponist Jakob Bro spielt in der Jazzwelt mit den ganz Grossen, Bill Frisell, Lee Konitz und Paul Motian stehen auf seiner Liste, um nur ein paar zu nennen.  Zudem betreibt er sein eigenes Label Loveland Records, bei dem er acht Soloalben und eine Vielzahl von Kollaborationen veröffentlichte. Für seine Arbeit als Jazz Musiker sowie diversen, genreübergreifenden musikalischen Aktivitäten in Dänemark mit 4 Music Awards ausgezeichnet, wagt der Künstler auf BRO /KNAK das Experiment, Originalaufnahmen von 14 Solisten auf zwei unterschiedlichen Weisen parallel durchzuspielen. Zum einen baut er selbst Studiosessions und Improvisationen von Paul Bley, Kenny Wheeler und anderen im Studio zu einem, seinem Jazzkosmos entsprechenden Album zusammen. Zeitgleich gibt er das Material an den ebenfalls dänischen Musiker und Komponisten Thomas Knak weiter, der schon als Produzent von Björk tätig war. Heraus kommt ein Doppelalbum, dessen beide Seiten nicht unterschiedlicher ausfallen könnten. BRO ist eine sensible, mit Blues, Jazz, Free Jazz und Elektronik durchwachsene, sehr weite, sehr freie und intelligent komponierte Bilderwelt. KNAK hingegen wirkt wie die Outtakes des Albums, selbstgefällig in der Verwendung elektronischen Studiomuffs und niederkomplexem Sound, umwölkt von schlimmgestriger Beatschnippelei. Den Blick gleichzeitig nach vorne und nach hinten richten zu wollen ist unsinnig, BRO/KNAK ist ein wunderbar erklärendes Beispiel dafür, warum dem so ist.

Insa Donja Kai

Insa Donja Kai.
Insomnie Joyeuse.
Sonic Pieces.

Cello, Cello und Perkussion, das ist die wagemutige, aber durchaus interessante Instrumentierung des Albums „Insomnie Joyeuse“, eingespielt von Insa Schirmer, Donja Djember und Kai Angermann, den Interessierten möglicherweise bekannt als Live- und Studiomusiker von Hauschka. Als Solche hat man es in der Regel schwer, aus dem Schatten eines grossen Maestros, gerade mit Eigenkompositionen, hervorzutreten, Insa, Donja und vor allem Kai schaffen dieses Unterfangen nicht wirklich. Dem Trio gelingt es zwar, einen warmen und solistisch auf grosser Strecke spannenden musikalischen Teppich zu weben, dem Ganzen fehlt aber der letzte Strich, der grosse Bogen, die Idee. Am deutlichsten dringt dieses Ambitionierte-Studenten-Gefühl bei dem Stück „Synoise“ zu Tage, während sich die Cellosektion langsam in einen dialogisierenden Blues einschwingt, klopft der Perkussionist eifrig auf lustigen Tongebern herum – alle haben ihren Spass und müssen sicherlich anhaltend dabei grinsen. Das zaubert nicht Jedem eine entsprechende Reaktion auf die Lippen, so zumindest nicht. Es dringt zwar eine Unmenge an frischer Spielfreude aus den neun Arbeiten, für einen mitreissenden Release ist das aber leider zu wenig.

Peter Broderick

Peter Broderick.
These Walls of Mine.
Erased Tapes.

Zugegeben, Americana und Folk waren nie meins. Bis mir dann der Efterklang Tourmusiker und Multiinstrumentalist Peter Broderick mit seinen mehr als sensiblen Soloalben, unter anderem auch mit seiner Kollaboration „Oliveray“ mit Nils Frahm, eine Tür aufmachte. So stehen jetzt auch Bon Iver und Iron And Wine in meinen Regalen. Ende des kleinen Gebetes. Die Welt dreht sich weiter und Musiker entwickeln sich. Der Künstler verlässt mit „These Walls Of Mine“ die komplex faszinierende Einfachheit seiner gewohnten Pfade, vielleicht wird er erwachsen, vielleicht hat er zuviel James Blake gehört, zumindest sagt er selbst zu diesen zehn Songs, dass er nicht wisse, ob er sie liebe oder hasse. Gospel, Soul und Rap flattern eher unverbindlich um die Ohren, dem Mann ist auch noch sehr wichtig mitzuteilen, dass er Katzen möge. Brodericks Arbeiten waren immer schon sehr persönlich und in ihrer Fragilität zerbrechlich und fragmentiert. Auf diesem Album legt Broderck eine noch höhere Intimität in seine Texte, leider auf Kosten seiner auf alten Alben fein ausgearbeiteten musikalischen Qualitäten. Broderick ist jung, ein Album das polarisiert und auch auf Ablehnung stösst schadet seinem Ruf nicht wirklich. Möchte man meinen.

Recomposed By Max Richter / Vivaldi – The Four Seasons

Max Richter.
Recomposed By Max Richter / Vivaldi – The Four Seasons.
Deutsche Grammophon.

Die Recomposed Serie der Deutschen Grammophon geht in die fünfte Runde, nach Matthias Arfmann, Jimi Tenor, dem Carl Craig / Moritz Von Oswald Doppel und Matthew Herbert darf sich nun der post-classical Komponist Max Richter in den Archiven des Labels umtun und zieht sich ausgerechnet den Vivaldi Gassenhauer „Die vier Jahreszeiten“ auf sein Pult. „Das Werk ist ein omnipräsentes Klangobjekt und wie kein Anderes Teil unserer musikalischen Landschaft und meines täglichen Lebens“, so die Erklärung Richters. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist der Meister der erste, der Originalaufnahmen nicht nur re-arrangiert sondern, selber gross, Vivaldis Arbeit umschreibt und sie vom Kammerorchester des Konzerthauses Berlin unter dem Dirigenten André de Ridder und dem Violinsolisten Daniel Hope neu einspielen lässt. Dies ist, in einem sehr streng gefassten Sinne, dementsprechend auch die erste Bearbeitung, die dem Titel der Serie „Recomposed“ entspricht; die ersten vier Ausgaben der Reihe sind eher „Reworks“. Richter entschlackt die vier Violinkonzerte, seine musikalische Couleur durchdringt deutlich das Original und nimmt einen selbstbewussten und gleichberechtigten Platz neben Vivaldi ein. Dieser gelungene Release lässt hoffen, dass die Reihe diesen nun eingeschlagenen Weg beibehält, und weiteren modernen Komponisten die Möglichkeit bietet, den Deutsche Grammophon Katalog aufzufrischen.

Zelienople

Zelienople.
The World Is House On Fire.
Type.

Dark Pop, Folk Ambient, das Chicagoer Trio Zelienople scheint mit ihrem neuesten Longplayer „The World Is House On Fire“ auf demType Imprint eine eindrücklich-elegische Spielwiese für suizidgefährdete, an ihren weltschmerzenden Hautunreinheiten eingehende Jugendliche zu liefern. Blendet man für einige kurze Momente die hierfür massgeblich verantwortliche Stimme Matt Christensens aus, treten die sehr sensiblen musikalischen Arrangements besser ans Ohr, und zeigen feinneblig routinierte Finesse. Deren schlafwandlerische Griffsicherheit, um jetzt Christensen auch wieder langsam mit einzufaden, bringt Zelienople mehr als angenehm in die Nähe der englischen Band Talk Talk, besser, in deren späte Phase. Diese waren sich des weitreichenden, späteren Einflusses ihres 1988er, Post-Rock vorwegnehmenden Albums „Spirit Of Eden“ sicherlich nicht bewusst, zudem es ein kommerzieller Reinfall war. Verschiedenliche Rock Subgenres der letzten Jahre mochten sich mit ihren Releases um diesen musikalischen Meilenstein gedrängt wissen, „The World Is House On Fire“ sitzt da locker, leicht seufzend, ganz dicht dran.

Thomas Köner

Thomas Köner.
Novaya Zemlya.
Touch.

Elf Alben hat Thomas Köner mittlerweile eingespielt, auf Touch erscheint nun sein Neuling „Novaya Zemlya“. Der Künstler bindet Performance, Video Installation und Soundexperimente erfolreich und preisgekrönt (Prix Ars Electronica,  Produktionspreis WDR / Deutscher Klangkunst-Preis und eine Nominierung für den Nam June Paik Award 2012) zu Multimedia Spektakeln zusammen, nebenher ist er noch eine Hälfte des Dub Techno Projektes Porter Ricks. Die um mächtige Subbässe gewickelten Soundscapes sind inspiriert von nordischer Isolation und russischer Militärpräsenz auf dem Archipel Novaya Zemlya im Nordpolarmeer, von dem aus 1961 die grösste jemals gebaute Atombombe „Tsar“ logistisch gezündet wurde. Einsame Wildniss, starrende Kälte und körperliche Bedrohung auf einen Tonträger zu bannen ist nicht gerade klangliche Novität. Für diejenigen jedoch, die im Sommer gerne vor geöffneter Kühlschranktür arbeiten, ist Köners Album willkommene Erfrischung, denn, wie wir alle wissen, auch ein voll aufgedrehter Speaker bringt bei solchen Sub Frequenzmonstern, neben nachbarlicher Proteste, eine angenehme Kühlung.

Simon Scott

Simon Scott.
Below Sea Level.
12K.

Von seinen Kindheitserinnerungen an die Fens inspiriert, eine ostenglische Landschaft, die auch wegen ihrer vielen Kirchen und Kathedralen als „Holy Land Of The English“ bezeichnet wird, releast der ehemalige Slowdive Drummer und Sound Artist Simon Scott nun erstmalig auf 12K. „Below Sea Level“ beinhaltet genau das was auf der Packung draufsteht. Field Recordings, empfindsame Soundeffekte und Gitarrenloops bilden ein handwerklich perfekt inszeniertes Gemälde einer unter dem Meeresspiegel liegenden, dereinst dem Meer abgerungenen Gegend. Gerade die, von Scott spielerisch zwischen Analogem und Digitalem hin und her pendelnden Versatzstücke, lassen den Prozess des Blickes auf Vergangenes, der selten klare Bilder produziert, mit abgetönten Farben prächtig nachspüren.

Suzanne Ciani

Suzanne Ciani.
Voices Of Packaged Souls.
Dead-Cert.

Und noch ein neues Label auf dem Markt, Dead-Cert, eine Kollaboration des Demdike Stare Sublabels Pre-Cert und dem Finders Keepers Imprint mit ihrer ersten Veröffentlichung, einem Re-Release des ersten Albums der amerikanischen Elektronikpionierin, Soundeffekt Spezialistin und Score Komponistin Suzanne Ciani aus dem Jahre 1970. Der Anspruch vergessene und verschüttete Sound Raritäten wieder an die Ohren geneigter Hörer zu schmiegen ist gerade gängige Praxis und die Wiederveröffentlichung dieser auf 50 Kopien begrenzten Vinyl Auflage einer in Brüssel gezeigten Sound Skulptur Austellung ein klares Zeichen für das gesteigerte Interesse an der Geschichte der (im weitesten Sinne) elektronischen Avantgarde. Dreizehn Szücke (hier – Voices) sind zu vernehmen, und wie sie klingen lässt sich schon eindeutig (he he) aus deren Titeln entnehmen… „Sound of Hair Bleeding“, „Sound of Nose Peeling“ und „Sound of Love Turning“ können nicht klarer in Töne gegossen werden. Wir hoffen diese Review war für Sie aufschlussreich.

Suum Cuique

Suum Cuique.
Ascetic Ideals.
Modern Love.

Miles Whittaker aka Suum Cuique, eine Hälfte des Modern Love Vorzeige Experimental Duos Demdike Stare, zieht aus seinem Projektnamen alle Register experimentellen Forscherdrangs.  Suum Cuique (zu deutsch – Jedem das Seine), im Zusammenspiel mit dem Albumtitel „Ascetic Ideals“ dieses seines zweiten Soloalbums, ist eine klare Ansage Whittakers, dass hier der Chef nur nach eigenem Rezept kocht und etwaigen Kritikern mit ihrem Alles-was-Sie-schon-immer-über-Elektronik-wissen-wollten-aber-die-Knöpfe-nie-zu-drücken-wagten-Gewinsel grossmütig den Mittelfinger erspart. Dezent untergerührte, techy
Schlagwerk Programierung in Dark Ambient / Drone Nebel mit einer gehörigen Prise dubbigem Delay, darüber, darunter die flinken Hände an den Drehreglern analoger Klangerzeuger, direkt über den Mischer zum Rekorder, kein Overdub Schischi. Nouvelle Cuisine Electonique also, mit dem Geschmack der reinen, unverfälschten Zutaten. Bon Appetit.

Moon Ate The Dark

Moon Ate The Dark.
Moon Ate The Dark.
Sonic Pieces.

In London haben die beiden Musiker hinter dem Projektnamen Moon Ate The Dark ihre neue Wahlheimat gefunden und dort auch ihr erstes gemeinsames Album produziert. Die Waliserin Anna Rose Carter lässt ihre zartdüsteren Solopiano Ausflüge von dem kanadischen Produzenten Christopher Bailey mit elektronischen Mikroeingriffen feinfühlig ummanteln – umspinnen ist der bessere Ausdruck für diesen semitransparenten weichen, sonoren Kokon. Spannend hierbei ist gerade die dezente Zurückhaltung des Elektronikers, der mitunter feinste Klangteppiche unter Carters Arbeit auswirft, dann wieder winzige Haken und Ösen anbringt, indem er mit verwischten Halleffekten nebelhaft das Piano umschwebt und so den Eindruck entsehen lässt, als spräche das Instrument in einem inneren Dialog leise mit sich selbst. „Moon Ate The Dark“ ist sicherlich kein sonnenstrotzendes Sommeralbum, der Poet dichtet gern der auf Bienen wartenden Blüte eine gewisse Melancholie an, das muss diese aber nicht umbedingt stören.

Ktl

Ktl.
V.
Editions Mego.

Für die Liebhaber darker Experimentalmusik legen die Musiker Peter Rehberg und Stephen O’Malley aka Ktl ihr fünftes Gemeinschaftswerk „V“ für Editions Mego vor.
Die beiden Künstler haben bei diesem Werk ihre blank schimmernden Noise Elemente elegant an ihr Spaceship geklappt und treiben nun geschmeidig im lautlos-im-Weltall Modus – Silent Running heisst der Sci-fi Klassiker dazu. Die Schleichfahrt abgetauchter U-Boote ist der ursprüngliche Begriff dafür, und genau so, ganz tief unten, mit abgeschaltetem Getriebe gleitend, kriechen die Klänge aus den Lautsprechern. Zwar immer noch mit Atonalitäten arbeitend, aber geschmeidiger als der 2009er Vorgänger „IV“ sind Ktl ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie die Dark Ambient / Drone Gemeinde weit ab von Gattungsetiketten, in scheinbarer Dunkelheit, weiter ihre Fahrt beibehält. Ob ganz oben oder ganz unten ist Ansichtssache, die zielsichere Unbeirrbarkeit ist die Respekt fordernde Kraft dahinter.

Sendai

Sendai.
Geotope.
Time To Express.

Nach ihren beiden 2009er 12″ Releasen kommen Yves De Mey und Peter Van Hoesen mit ihrem neuen Album „Geotope“ wiederum bei Time To Express heraus; acht minimalistische, schön zwischen Electronic Beat, Sounddesign und Experiment gelötete Schmuckstücke, die den Freunden des kleinen Tanzschrittes den Zehenzwischenraum spannen wird. Es ist sicherlich die Erfahrung als Komponisten für zeitgenössischen Tanz und Performance, die es den beiden Künstlern erlaubt exakt die winzige Pause zwischen Ruhe und Bewegung aufzuspüren und dies in knisternde Mikroelektronik umzusetzen, hinzu kommt noch eine spielerisch fast kindliche Freude die Ränder des Genres Techno mit winzigen Eingriffen aufzuribbeln. Sehr spannend was da passiert.

Clark

Clark.
Iradelphic.
Warp.

Chris Clarks sechstes Album für Warp schiebt ein unglaubliches Spektrum an -Ismen zu einem bunt schillernden, ständig die musikalische Richtung ändernden Werk zusammen. Pychedelic, Kraut, Prog Rock, Pop und Folk fliessen zusammen mit vermeintlich in Garagen selbstverloren schrabbelnden Gitarrenaufnahmen, daneben wunderschöne Pianoetüden, dann wieder aufgeregtes, Minimal Music unterlegtes Schlagwerk, schlussendlich Ambient.
Das wie ein Geburtstagsschokokuchen, wild mit Smarties beklebtes und Kinderherzen höher schlagen lassendes, eher an eine Label Compilation erinnerndes Album „Iradelphic“
lässt den bis dato eher fleissig n der Elektronikkiste wühlenden Clark gleichzeitig jugendlich unbändiger aber auch etwas ratloser erscheinen. Was auch immer der Grund sein mag hier allen möglichen Winden Tür und Tor zu öffnen, die Konsequenz und Durchführung diesen frischen Verwirbelungen hinterherzujagen und sie auf diesem Album zu bündeln ist einfach auch bezaubernd.

Olafur Arnalds & Nils Frahm

Olafur Arnalds & Nils Frahm.
Stare.
Erased Tapes.

Die Erased Tapes Buddies Olafur Arnalds und Nils Frahm haben in ihren Studios in Berlin und Reyjkjavik gemeinsam gesessen und unter Zuhilfenahme der Cellistin Anne Müller ein drei Track Mini-Album aufgenommen. Durch gemeinsame Touren und der gleichschwingenden Liebe zur Musik enger aneinandergewachsenen, ist „Stare“ die logische Konsequenz einer künstlerischen Freundschaft; ebenso erscheint dieser Release passend zum fünften Jubiläum des Labels. Frahms musikalischer Ausstoss als Solist und mit Kollaborationen in der letzten Zeit ist bemerkenswert, gerade aber „Stare“ zeigt, wo derzeit Grenzen sind. Wenn man dem Enstehungsmythos um seines 2011er Albums „Felt“ glauben will – Frahm hatte sein Piano aus Rücksicht seinen Nachbarn gegenüber gedämpft, und damit ein bemerkenswert anders klingendes Release erschaffen – so zeigt auch dieses Ambient/Elektronik Album mit Arnalds Spuren seiner freundlichen Zurückhaltung, diesmal aber nicht zum Vorteil. Sosehr beide beteiligten Artists an einem gemeinsamen Strang zu ziehen vermeinen, sind sie doch in ihrer Konsquenz sehr unterschiedlich, Frahms feinziselierte Finesse geht hier unter Arnalds Drang zum schwellenden Pathos unter, gerade seine so punktiert gesetzten, wundersam minimal gehaltenen Soundideen sind hier leidlich zu vermissen. Das wird Fans der beiden Künstler nicht davon abhalten dieses Album abzufeiern, eine gehörige Portion mehr Frahm bei Frahms kommenden Gemeinschaftsarbeiten aber wäre wünschenswert.

Dictaphone

Dictaphone.
Poems From The Rooftop.
Sonic Pieces.

Dictaphone wechseln mit ihrem dritten Album von City Centre Offices zu Sonic Pieces, Oliver Doerell und Roger Döring nehmen den Violonisten Alexander Stolze mit ins Boot, alles auf die drei also. „Poems From The Rooftop“ ist ein schön zwischen den Stilen pendelndes Album, Stolzes Mitarbeit schiebt den Sound des ehemaligen Duos dezent in eine wunderbar melancholische, Downtempo Penguin Music Orchestra Stimmung. Der subtile Einsatz von minimaler Elektronik und sanfter Jazzliehhaberei zusammen mit einer bübisch verzückten Detailversessenheit machen das Album zu einem fortgesetzten Hörgenuss, der auch nicht durch den heutmorgigen dicken Erbsensuppenhimmel Schaden nehmen kann.

Demdike Stare

Demdike Stare.
Elemental (2CD Edition).
Modern Love.

Das Manchester Label Modern Love ziehen weiter einen nach dem anderen Hammer Release aus dem Hut. Mit Miles Whittaker und Sean Canty aka Demdike Stares „Triptych“ Reihe hatte das Imprint letztes Jahr schon die Kritiker zu wilden Nackttänzen inspiriert, hier nun der Nachfolger „Elemental“. Zusammengefasst sind hier die beiden vorangegangenen limitierten Vinylreleases plus alternative Versionen davon, mehr kann der Sammler nicht erwarten – bei der ohnehin schon die Grenzen des Crossover sprengenden Arbeitsweise der beiden Artists ein gegebener Anlass zum Schmunzeln obendrauf. Die 18 Stücke des Albums drängen emsig durch schwarzverhangene elektronische Gassen, der ungestüme Ritt der beiden Herren durch cinematographische Soundschluchten bleibt weiterhin einzigartig, wiewohl sie hier ab und an kleine techy Ambientnoise begründete Ruheinseln anzubieten haben, faszinierend.

Celer

Celer.
Evaporate And Wonder.
Experimedia.

Das Duo Danielle Marie Baquet und William Thomas Long verzücken schon seit 2005 mit ihrem sehr intimen, sehr reduzierten Ambientsound, mit dem das Ehepaar teils im Eigenvertrieb, aber auch bei verschiedenen Labeln releasen, so hier bei Experimedia. Das ruhig dahintreibende, hier auf „Evaporate And Wonder“ auf dezenten Synthesizerimprovisationen und Field Recordings aufbauende Material durchdringt eine fein akzentuierte Ruhe, die minimal gesetzten Änderungen im sanft dahingleitenden Strom sind fast unmerklich gesetzt. Wer den mit Myriarden von Releasen ähnlicher Machart im Netz nicht mit trotziger Verweigerung entgegen treten muss und wer Celer noch nicht kennt, dem sei dieses limitiert aufgelegte Album als Einsteiger in die Arbeit der beiden Artists mit dringlicher Empfehlung ins Plattenregal geschoben.

Ryan Teague

Ryan Teague.
Field Drawings.
Village Green.

Ryan Teagues viertes Album, diesmal für das Village Green Imprint, augenzwinkernd „Field Drawings“ benannt, zeigt den Meister wieder back to the roots hinter dem Sampler. Zwölf liebevollen Optimismus verströmende, in kammerorchestralen Minimalismus getränkte Tracks, deren floral frühlingshaft treibender Wachstumsdrang den grau verhangenen Wattebauschhimmel lächelnd mit frischen Ranken überzieht, sind nicht nur ideale Orchestrierung für die Freunde Attenborough’scher Natureuphorie. Mit diesen schwärmerischen „Zeichnungen“ pflanzt Teague einen wunderbaren frischen Baum in den derzeit etwas uninspirierten, cinematographischen Garten. Hut ab.

Leila

Leila.
U&I.
Warp.

Leila legen mit ihrem vierten Album „U&I“ eine schön gekühlte Sammlung Elektropop mit dunklem, kantig geschliffenem Synthbrodem vor. Wiewohl eifrig nach 80’s Ausdünstungen schnappende kontemporäre Releases in der Regel eher den bemitleidenswerten Pausenkasper geben dürfen, gelingt es Leila, unter Mitwirkung der digital verhauchten Vocals von Mt. Sims, eine intelligente, gleichzeitig im Rohen belassene, dennoch fein gedachte zeitlose Elektronik zu erschaffen. Schöner Eisjuwel, der genau dort ansetzt, wo LCD Soundsystem die Puste ausgegangen ist.

General Strike

General Strike.
Danger In Paradise.
Staubgold.

Dieser Re-release des 1984 bei Touch veröffentlichten Tapes, von Mastermind David Cunningham neu gemastered, ist ein wunderbarer, die ohnehin schon sehr verspielten, andere würden es experimentierenden Arbeiten Cunninghams (The Flying Lizards / This Heat) zu ergänzen. Cunningham, der seit 1976 veröffentlicht und unter anderem als Produzent für Michael Nyman und dessen Soundtracks zu den Filmen von Peter Greenaway arbeitete,  spürt auf „Danger In Paradise“ den feinen und reizbaren Nerv zerborstener Songtexturen mit atonalen Tendenzen auf, indem er daran genussvoll zwirbelt, bisweilen zerrt. Unter anderem durch seinen internationalen Hit „Money“ mit den Flying Lizards bekannt, ein reines Versehen so der Artist, sticht Cunningham zusammen mit Steve Beresford und David Toop mit diesem Projekt fein säuberlich und zielsicher in musikalische Grenzen und Erwartungen. Das ist nichts für musikalische Dünnbrettbohrer, ein spritziger Genuss hingegen für die Freunde gehobener, selbstironischer Unterhaltungskunst.