Shakespeare, der weltbeste Metzger.

von | Dez 18, 2015 | Allgemein, Archiv 2015 | 0 Kommentare

shake400

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Shakespeare, der weltbeste Metzger.
Tim Crouch inszeniert des Barden gesammelte Bühnentode an oder besser, in einem Stück.

Die Einen ereifern sich begeistert darüber, dass Star Wars endlich in der Jetztzeit angekommen ist. Hier dürfen nun auch weibliche Heldinnen das Schwert am richtigen Ende anfassen. Andere hingegen erwärmen sich mächtig den Kopf, was der alte Engländer Zeitgemässes zu bieten hat und kommen zu einem erstaunlichen Ergebnis – das nicht enden wollende Blutbad! 400 Jahre nach dem eigenen Ableben des Verseschüttlers wird Shakespeare mit „The Complete Deaths“ auf den schaurig trockenen Punkt zurückgeschraubt, 74 Tode sind zu bestaunen. Während das elisabethianische Publikum zu Lebzeiten des Meisters noch sowohl den Poeten als auch den Nervenrüttler feierte, ist diese Show nun endlich von mühsam sprachlicher Pein befreit.

Crouch, verantwortlich für dieses Massaker, ist als Schreiber, Schauspieler und Direktor seit 2003 in Brighton mit eigenen Produktionen zu bewundern. Seine nicht so wirklich radikale Idee begründet er mit einer einfachen Beobachtung. Bevorzugt der junge Shakespeare noch den klassischen „Ich-bin-getroffen-ich-sterbe“ Abgang, so entfleucht des Poeten Feder über die späteren Jahre eine äusserst delikate Liste viel morbiderer Todesvarianten. Ob als Fleischküchlein verbacken oder dem Selbstmord durch heisse Kohlen erlegen, hier in Crouchs „Best Of“ kann mit schön ansteigendem Thrill die Schauderleiter erklommen werden. „Spass soll es machen, lustig sein“ so Crouch. O-key?!? Na dann, hau rein.

Spass hat der der konservativen Seite zuzurechnende Kritiker Frances Wilson dabei wohl eher nicht. „The Telegraph“ druckt dessen vollmundige Maulerei über den Werte- und Sinnverfall unter der Überschrift „bite-sized chunks“. Wilson kritisiert hier nicht nur die Shakespear’sche Zusammenstauchung, sondern auch die aktuelle BBC Produktion „The Dickensian“, in der alle von Charles Dickens ersonnenen Figuren auf einer Strasse versammelt krauchen. Er nennt das ganze den Frankenstein Effekt, in dem Werke von immenser Grösse zu einem maushirnverständlichen Medley verkommen und endet mit der bemerkenswerten Erkenntniss, dass das immer weiter um sich greifende Phänomen des Aufmerksamkeitsdefizits nun auch die englische Nation erfasst. Hierzu liesse sich sicherlich noch eine ganze Wagenladung weiterer Artikel, nicht nur die Engländer betreffend, verfassen.

Spass bringt auf jeden Fall die nähere Betrachtung beigefügter Schautafel theatral finalen Dahinsinkens. Drei der Sektoren sind nicht näher bezeichnet. Handelt es sich hier etwa um etwaige Deutungslücken? Kann man, frei interpretiert natürlich, Leute zu Tode kommen lassen, indem man sie Schwarz, Orange und Grün anmalt, oder sie gar in in dahinsiechender Neugier unaufgeklärt langsam um die Ecke bringen? Wunder über Wunder…

shakespeare_deathsZu sehen wird „The Complete Deaths“ 2016 im Northhamptoner Royal Theatre, im Dengate Theatre und auf dem Brighton Festival sein.

raabe