Yair Elazar Glotman

glotman

Yair Elazar Glotman.
Northern Gulfs.
Glacial Movements.

Hätte Brian Eno sein 1978er Album nicht „Music For Films“ genannt, vielleicht wäre dieser schwierig zu handhabende und schwammige Begriff „Cinematographic Music“ nie als Pseudogenre durch die Gassen geirrt. Dabei rumpeln auf sehr unscharfe Weise Musik, Sprache und Bild zusammen, hinzu kommt noch dass sich die Filmindustrie lieber mit Standartwerklern wie Herren Zimmer in die Köpfe des Publikums hämmert, als sich einer wirklich intelligenten und starken Musik zu bedienen, wie sie hier von Yair Elazar Glotman vorliegt. „Northern Gulfs“ ist „Ideal Score“ um es mal mit einem anderen Aufkleber zu probieren, die sieben Tracks darauf produzieren ein nicht alzu dunkles aber durchaus angebrochenes Stückchen Kino im Schädel. Das italienische Imprint Glacial Movements unter Alessandro Tedeschi hat schon einige namhafte Artists wie Celer, Pjusk und Loscil unterm Schirm, Glotman ist da ein wunderbarer Neuzugang.

Teebs

teebs

Teebs.
E S T A R A.
Brainfeeder.

Mtendere Mandowa aka Teebs kann mit seinem zweiten Longplayer „E S T A R A“ für Brainfeeder dem 2010er Vorgänger „Ardour“ mit Leichtigkeit einen obendrauf setzen, die fluffige Verspieltheit seiner Instrumental Hip-Hop Produktionen lässt ihn weiterhin zum entspanntesten Aushängeschild des Labels freudig in der Sonne strahlen. „Estar“ meint auf Spanisch einfach nur „Sein“, besser, einfacher kann man das Album gar nicht beschreiben. Teebs ist auch gleichzeitig Maler, seine Arbeiten zieren auf allen seinen Releasen die Cover und es ist zu vermuten dass der Producer hier tief aus der Kreativität eines begleitenden Mediums Ruhe und Gleichmut schöpfen kann. Die Vorstellung dass er Prefuse 73, Lars Hornveth, Jonti und Populous, die hier auf dem Album mitschwingen dürfen, ebenfalls dazu inspirieren konnte zukünftig den Pinsel auf der Leinwand zu verstreichen macht schmunzeln. Das wird man dann ja, ganz wörtlich, sehen können.

Shivers

shivers

Shivers.
s/t.
Miasmah.

Rutger Zuydervelt aka Machinefabriek umtriebig zu nennen wäre gröbstens untertrieben und es käme einfacher diejenigen aufzuzählen, mit denen er noch nicht gekuschelt hat. Wundersamerweise halten seine vielfältigen Produktionen dennoch einen gehobenen Qualitätsstandart, so auch sein neuester Wurf. Das Trio Shivers setzt sich aus ihm, Gareth Davis und Leo Fabriek zusammen. Für diese Kollaboration hat sich Zuydervelt den ersten David Cronenberg Film als Konzept vorgenommen und den Titel der Einfachheit halber gleich zum Projektnamen gemacht. Die Gefährdungen des eigenen Körpers durch fremde Infiltration und / oder durch ungewollte Transformation ziehen sich durch die sechs Tracks wie eine mit Nadeln bespickte bittesüsse Spur. Drone, Noise, Psychedelic und Free Jazz zerren nicht nur garstig am Ohr, der ganze Organismus fühlt sich unsanft geschmiergelt. Gerade weil die intelligent eingewebten, Beruhigung suggerierenden Passagen letztendlich doch nur den Horror verzögern, zieht „s/t“ weiter seine feinen Haarrisse über die Haut. Was hier draufsteht ist also auch drin. Sehr selten das.

Owen Pallett

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Owen Pallett.
In Conflict.
Domino.

Mit seinem zweiten Album „He Poos Clouds“, 2006 auf Tomlab released, setzte der kanadische Geiger, Sänger und Komponist Owen Pallett, damals noch als Final Fantasy unterwegs, einen ordentlichen Koffer in die Welt. Die sehr eigene Mischung aus klassischen Elementen, minimalem Pop und seiner exzellenten Stimme machte ihn umgehend zu einer der führenden Kapitäne der damals noch frischen „Modern Classical“ Szene. Sein 2010er Nachfolger „Heartland“, ab dann unter eigenem Namen veröffentlicht, verfestigte diesen seinen Stand an Deck. „In Conflict“ wurde zunächst in Island aufgenommen, gänzlich verworfen und nochmals live in Montreal eingespielt. Perfektionisten sind nun mal dickschädlig und das dauert dann etwas länger. Jahre gingen ins Land und Altmeister Brian Eno wurde mit Back-Up Vocals, Synths und Gitarre mit an Bord geholt. Somit könnte die Reise schliesslich zu einem gelungenen „And-lived-happily-ever-after“ führen… und doch, irgenwo ist hier ein Leck, das Boot zieht Wasser. Pallets vertraute Stilelemente versuchen vergeblich das Ganze zusammenzuzurren, die ungelenk eingesetzten Electronica hängen schlapp vom Mast und die schwergängigen Progrock Versatzstücke brechen Löcher in den Rumpf. Das ist eigentlich ganz schön traurig, Anderen gelingt der Spagat zwischen den Genres auch ohne mit dem Wimpel zu zucken. Mit diesem Schiff jedenfalls gewinnt man keine Regatta.

Erik K Skodvin

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Erik K Skodvin.
Flame.
Sonic Pieces.

Nach dem deutschen Duden ist Melancholie ein „von grosser Niedergeschlagenheit, Traurigkeit oder Depressivität gekennzeichneter Gemütszustand“. Gleichwohl sagt Charles Baudelaire, dass er sich keine Schönheit vorstellen könne, in der nicht auch Melancholie stecke. Auf diesem vermeindlichen Widerspruch bilden eigentlich alle Veröffentlichungen von Erik K Skodvin ihre zunächst zierlich erscheinenden, aber rasch zu mächtiger Grösse erwachsenden Strukturen aus, sei es als Labelchef von Miasmah oder mit eigenen Produktionen. „Flame“ bildet da zunächst keine Ausnahme, und doch, etwas scheint milder geworden, zarter fast. Seine mächtig angeschwärtzen Gewitterwolken der früheren Jahre weichen zwar nicht einem strahlend blauen Himmel, da würde man Skodvins Spielfreude gänzlich unterschätzen; die hier so scheinbar friedlich vor sich hinnuckelnden weissen Wölkchen bilden bei näherer Betrachung bizarr aufquellende Formen aus. Eigentlich hätte man von auch gar nichts anders erwartet,
die musikalische Unterstützung von Anne Müller, Mika Posen am Streichgerät und Gareth Davis an der Klarinette helfen da dezent am Auseinanderzupfen von gängigen Darreichungen. „Flame“ fliegt mehr als früher zwischen Musik und Kino und dieses Mehr an „Dazwischen“ macht diesen Release so spannend.

Downliners Sekt

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Downliners Sekt.
Silent Ascent.
InFiné.

Seit dem 2008er Longplayer „The Saltire Wave“ hat man lange auf das dritte Album der Stilhybrid Meister Downliners Sekt aka Fabrizio Rizzin und Pere Solé warten müssen. Die fünf EPs dazwischen waren eine wohlig spritzige Verköstigung, hier nun endlich „Silent Ascent“ und das ziept und zupft so fruchtig perlend am Tanzbein wie es nicht besser zu erhoffen war.
So gestaltet man hochkomplexen Dancefloor, da muss man auch die eingeflossenen Styles oder Microgenres nicht beim Namen nennen. Wer hier nicht das Schuhwerk fester zurrt damit es einem später nicht um die Ohren fliegt, der darf auch nicht in der Ecke sitzend mitanstossen. Schüttelt die Flaschen, lasst die Korken Sputnik spielen und — Spass!!!

Douglas Dare

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Douglas Dare.
Whelm.
Erased Tapes.

Vor knapp einem halben Jahr hat Douglas Dares EP „Seven Hours“ schon starke Wellen geschoben, hier folgt nun das Debüt Album „Whelm“ für das Londoner Erased Tapes Imprint. Es gibt eine ganze Menge Musiker die ihr Stücklein singend, sich selbst am Piano begleitend, vortragen. Dare unterscheidet sich oberflächlich nur in winzigen Details von den Anderen und gerade diese schwer in Worte zu bindenden Eigenarten lassen seinen Fluss diese individuelle, faszinierende Biegung nehmen. Spürt er als Poet einen anderen Einstieg in die Musik oder hat er ein viel tiefer sitzendes musikalisches Selbstbewusstsein und gleichzeitig (oder gerade darum) so eine bezaubernde Art diese unerhörte Wucht seines Antriebs in so ruhigen, eindeutigen Bahnen darzubringen? Gleichwohl, ich finde keine Sprache dafür, ich schaue nach oben und klappe Ab und An den Mund auf und manchmal auch wieder zu. Und dann, auf „Swim“, dem neunten Stück kommt er dann mächtig, lässt den Damm brechen, aber nur kurz, schon fliesst er weiter. Das ist einfach schön, und vielleicht ist es auch völlig egal warum dem so ist.

 

Will Samson

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Will Samson.
Light Shadows.
Karaoke Kalk.

Die Erfahrung einen nahen Menschen zu verlieren ist durch nichts vermittelbar. Nach einem sehr umtriebigen Jahr auf Tour durchlief Will Samson dieses dunkle Tal und zog sich zur Besinnung nach Indien zurück.
Die Reflektionen über diesen traurigen Lebensabschnitt sind nun auf einer 4 Track EP für Karaoke Kalk zu hören, eingespielt mit Samsons Buddy Florian Franzel, der auch bei dessen Longplayer „Balance“ mitproduzierte. „Light Shadow“ ist den Umständen entsprechend ein sehr verhaltener, ruhig im leicht geschwungenen Flussbett dahingleitender, elektro-akustischer Release, der nur im ersten Track durch eine „keine-Angst-es-wird-schon-weitergehn“ 4/4 Kick etwas irritirend eingetaktet wird. Herzerweichende, traurigschöne Musik über die Bon Iver die schützende Hand hält.

Otto A Totland

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Otto A Totland.
Pinô.
Sonic Pieces.

Otto A Totland, der stillere Part des Duos Deaf Center veröffentlicht auf Sonic Pieces sein Debutalbum „Pinô“. Eingespielt in Nils Frahms Studio zeigen Totlands Pianostücke durchaus Ähnlichkeiten zu seinem Aufnahmeleiter, die winterlich anmutenden Szenarien werden allerdings  von einer zarteren Hand gezeichnet. Wo Frahm die Taste kräftig drückt stehen bei Totland Pausen, der Freude am abenteuerlichen Schneetreiben steht eine eher wehmütige, zurückhaltendere Betrachtung gegenüber, ein zeitloses Bild einer tief am Horizont stehenden Sonne, die mit ihren letzten Strahlen die Eiskristalle am Fenster kitzelt. Da heisst es ab unter die Decke und — wo sind Mamas Kekse!!!

Sebastien Tellier

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Sebastien Tellier.
Confection.
Record Makers.

In Zeiten der Ganzkörperschur scheint so ein dicht durchsaftetes Brusthaartoupet eine klärende Alternative zur bleich gewachsten Einerleihaut der Massen zu sein, oder um es mit John Clute zu sagen, die Aliens wenden sich pikiert ab, weil des Menschen wahrer USP sein Geruch ist… er stinkt. Wer dem ungekrönten Superstar der französich-dunklen Siebziger Michel Piccoli einmal ein Autogramm abluchsen wollte weiss, wovon ich rede, dieses konzentrierte anti-bougeoise Odeur, destiliert aus einem lastwagenvoll ungewaschener Fernfahrer… Zigarettenasche und Schuppen der letzten durchsoffenen Wochen auf dem Nadelstreifenrevers. Sehr handfestes Restflackern längst vergangener Revolutionen um Liebe und Freiheit. Feucht, derb, schön…

Simon Fisher Turner

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Simon Fisher Turner.
The Epic Of Everest.
Mute.

Der Mythos, ob der englische Bergsteiger George Mallory 1924 der erste Bezwinger des Mount Everest war, will nicht enden. Zumindest lässt sich nicht eindeutig nachweisen, ob er mit seinem Partner Andrew Irvine
am 8. Juni den Gipfel erreichte, wiewohl seine 75 Jahre nach seinem vermutlichen Absturz gefundene Leiche Indizien aufzeigte, dass er es geschaft haben könnte. Das Archiv des BFI veröffentlicht nun die restaurierte Neufassung des Originalfilmes zur gescheiterten Expedition. Simon Fisher Turner, Musiker, Komponist, Schauspieler und Scoreschreiber von Derek Jarman, wagt sich vorsichtig, präzise und begeisternd an die musikalische Interpretation einer 90 Jahre alten Katastrophe. Der Artist vertonte schon einmal eine BFI-Restaurierung, „The Great White Silence“, ebenfalls eine tödlich endende Expedition, bei der der englische Forscher Robert Scott als zweiter nach Amundsen den Südpol 1912 erreichte um dann auf dem Rückweg zu verenden. Im Gegensatz dazu zieht es Fisher Turner bei „The Epic Of The Everest“ vor, nicht nur mit authentischen Materialien zu arbeiten. Auf allen möglichen Wegen, auch aus dem Internet, sammelte er Sounds zusammen, um mit einer Handvoll wohlbekannter Freunde (Cosey Fanni Tutti, Andrew Blick und Peter Gregson) das Scheitern am Berg nachzustellen. Das Ergebnis lässt einen die Heizung höher stellen, zwischendurch, der Einsamkeit entrinnend ein paar gute Freunde anrufen, um dann nach 16 Tracks wieder auf Anfang zu gehen… wohlig.

Brown Reininger Bodson

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Brown Reininger Bodson.
Clear Tears / Troubled Waters.
Crammed Discs.

Die legendäre Ambient und Soundtrack Serie „Made To Measure“ wird vom belgischen Label Crammed Discs wiederaufgelegt; zwischen 1983 und 1995 veröffentlichten hier so edle Herren wie Arto Lindsay, John Lurie und Harold Budd ihre Kompositionen für Film, Theater oder Video. Darüberhinaus ist Crammed Tuxedomoons Stammlabel mit sämtlichen Re- und Re-Releases der Band, alle Solo- und Seitprojekte sind ebenfalls vertreten, voilà…  Bühne auf für Tuxedomoons Frontmänner Steven Brown und Blaine Reininger, die mit dem belgischen Musiker und Sounddesigner Maxime Bodson die Musik für ein Stück mit sieben Tänzern und drei Musikern schrieben. Choreografiert von Thierry Smits, ist „Clear Tears / Troubled Waters“ eine durchwachsene Mischung aus Elektronik und Musik der klassischen Moderne, deren Genuss live und mit den dazugehörigen Bewegungen eher zu empfehlen wäre. Der visuelle Aspekt der Zusammenarbeit, die Interaktion fehlt. Schade eigentlich, der 1982 für Maurice Béjart geschriebene und seperat veröffentlichte Tuxedomoon Soundtrack für dessen Ballet „Divine“ hatte eine klare musikalische Eigenständigkeit, dem dieses Werk völlig abgeht, leider.

Banabila & Machinefabriek

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Banabila & Machinefabriek.
Travelog.
Tapu Records.

Neulich im Stau, der Typ im Mercedes nebenan ein vermeindlich typischer BWLer, Zwirnmensch unter Fleischkappe, die Unterlippe nahtlos in den Hals übergehend. Jacket und Schlips offensichtlich auf dem Rücksitz. Der Türrahmen in dieser ruckelnd-schleichenden Fortbewegungsart verdeckt hinterlistig den genaueren Einblick ins Fahrzeuginnere. Bemerkenswert an der Szene: das hartnäckig wiederkehrende dreifache Zucken des Herren; hier wird also Härteres dem Ohr zugeführt. Nichts an dem Bild passt so richtig zueinander und gerade deshalb muss man weiter hinstarren. Der Stau löst sich auf und der Mercedes entschwindet… Ende. Die beiden äusserst umtriebigen holländischen Produzenten Michel Banabila und Rutger Zuydervelt aka Machinefabriek könnten mit „Travelog“ den Soundtrack zu der Szene geliefert haben, Minimal, Kraut, Ambient und Noise hüpfen übereinander, das Banale und Kleine ist der ungelenkte Held der Geschichte, Strandgut an einem kalten aber sonnigen Herbstnachmittag am Meer. Kater…

Douglas Dare

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Douglas Dare.
Seven Hours.
Erased Tapes.

Tja, Sohn einer Klavierlehrerin müsste man sein. Da könnte man schon Kekse mümmelnd früh an dieses Instrument herangeführt werden. So geschehen bei dem Londoner Singer-Songwriter Douglas Dare, neuester Zugang des fein strahlenden Imprints Erased Tapes. Die vier Tracks seiner Debut-EP „Seven Hours“ zeigen den 23-jährigen frisch und reif entwickelt.  Irgendwo zwischen James Blake ohne schwermütigen Knispelkram und Nils Frahm, ohne dessen jazzy Vibes, tastet sich Dare, subtil produziert von Drummer/Producer Fabian Prynn durch seine Klavierwelten. Der Artist begann erst während seines Studiums an der School of Music / University of Liverpool Texte zu schreiben und sich selbst damit zu begleiten. Gedichte und Kurzprosa sind Basis dieser EP, Dares darauf entstandene Pianoimprovisationen wurden von Prynn mit dezenter, dennoch klare Strukturen bildender Perkussion ummantelt. Teile der Takes wurden mit einem simplen Kassettenrekorder aufgenommen, was der Produktion nicht schadet, im Gegenteil, die zeitweise suchenden Kompositionen des Künstlers erhalten dadurch eine gut verträgliche Unschärfe, die den Arbeiten wohltut. Dare, der Ólafur Arnalds auf seiner letzten Europa Tournee begleitet hat, festigt den Eindruck  dass hier eine Generation handwerklich brillanter Musiker nachwächst, deren Anliegen vielleicht nicht sein mag die Musikgeschichte neu erfinden zu müssen, denen es aber dennoch gelingt das Publikum weich für sich einzunehmen. Man kann diesem jungen Komponisten nur wünschen dass er sich Zeit lässt in seiner Entwicklung, nach Auskunft des Labels steht ein Album schon in der Planung. Es gibt leider zu viele Talente die sich an diesem Format aufgerieben haben. Man wird sehen, „Seven Hours“ ist auf jeden Fall bemerkenswert…

Gang Colours

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Gang Colours.
Invisible In Your City.
Brownswood.

Es ist ein herrlicher Morgen, ich habe hervorragend geschlafen, der Kaffee ist exzellent, die Pflanzen auf dem Balkon gedeien prächtig, die Nachbarn strecken sich liebreizend in ihren Fenstern, die Müllabfuhr klingelt heute freundlicherweise nicht um 6 Uhr Sturm und die Kinder in der Kita nebenan werfen Allen auf der Strasse ihr entzückendes „Hallo“ an den Kopf. Dazu dann noch dieses Album „Invisible In Your City“, toll,toll,toll,toll,toll,toll,toll, so muss Songwriting meets Electronica sein. Will Ozannes zweiter Release für Brownswood bezaubert und das schon gestern Abend, gestern Mittag, gestern Morgen. Jetzt kann der Herbst kommen und den Winter schaffen wir hiermit mit Links.

Nils Petter Molvaer + Moritz Von Oswald

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Nils Petter Molvaer + Moritz Von Oswald.
1/1.
Universal Music.

Brian Eno und Robert Fripp veröffentlichten 1973 den Meilenstein „No Pussyfooting“ und die Welt war danach nicht mehr dieselbe. Ambient war geboren und in den 40 darauf folgenden Jahren wurde der Sack interessanter Veröffentlichungen purer oder genreerweiternder Art immer grösser und vor allem dichter gedrängt. Die gute Nachricht ist dass „1/1“ hier nicht zum Platzen desselben beiträgt und leider ist das auch gleichwohl die Schlechte; um beim Thema Sack zu verbleiben, kein Tuch so gross den Duddelkram dieser Welt zu fassen. Da passte „1/1“ eher hin, die beiden Artists sind vom Label zu dieser Session geladen worden und die sieben Tracks des Werkes (Ricardo darf einen Mix Dig zusteuern) sind echte, öde Schrubbware. Hier ein Quietsch, dort ein Wubb Wubb, Nils Petter Molvaer & Moritz Von Oswald sind hervoragende Vertreter ihrer Gefilde, aber das hier… Da hilft kein Schütteln und kein Klopfen, daneben geht der schlichte Tropfen.

Various

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Various.
Erased Tapes Collection V.
Erased Tapes.

Das Schlimmste was einem Sammler passieren kann ist dass er sich unversehns in einem Gespräch mit einem Nichtsammler verstrickt sieht. Hier prallen nicht nur grobes Unverständnis und hämische Respektlosigkeit aufeinander und wer hier wem zurecht die einfingrige Masturbanz vorwerfen kann – geschenkt. „Erased Tapes Collection V“ ist unbenommen ein fettes Stück Sammler Himmel, fünf Vinyl 7“ mit zehn unveröffentlichen Tracks in einer handgefertigten Box, gestaltet von Torsten Posselt / FELD Berlin – ein logo-geshaptes Centrepiece ist noch fürsorglich beigelegt und ein ebenso bedrucktes Staubtüchlein – schöner kann man Liebe nicht beschreiben. Das unter Robert Raths seit 2007 geführte Londoner Imprint zelebriert mit einer limitierten 500er Auflage dieses Wunderkistchens seine ersten sehr erfolgreichen fünf Jahre und alle innovativen Granden, die das Label an die Pole Position geführt haben, sind hier vertreten. Nils Frahm, Peter Broderick, Ólafur Arnalds, Codes In The Clouds und The British Expeditionary Force spielen ein feines Ständchen, Anne Müller, World’s End Girlfriend, Rival Consoles und Kiasmos tun es ihnen gleich und auch das A Winged Victory For The Sullen Chamber Orchestra schwingt hierfür seine Bögen. Das eher im kammerorchestralen Wind segelnde Label zieht auf dieser Compilation mit experimentellen und 4/4 Auslegern die eigene Bandbreite weiter und zeichnet trotz der minimierten Trackanzahl fein ausgewogene, grosse Kreise. Wer die stolzen 70 Pfund für die Box auf dem labeleigenen Store scheut (und das geht noch teurer, anderswo !!!) muss sich bis zum diesjährigen Weihnachtsabend gedulden um an die Downloads der Stücke zu kommen – härter kann man Liebe nicht beschreiben. Oder man zieht das Fest vor und legt sich selbst „Erased Tapes Collection V“ freudig erregt unter das Tännchen im Garten. Sammlerleben ist einfach herrlich…

Yong Yong

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Yong Yong.
Love.
Night School.

Das Lissaboner Duo Yong Yong re-releast in Kleinauflage ihr „Love“ Tape für das Night School Imprint auf Vinyl. Jeder der Spass hatte bei Hype Williams‘ Tracks in Unterwäsche die Wohnung zu reinigen, darf sich jetzt mal nackt darin üben. Mit diesen mächtig verschwurbelten LoFi/Dark-Electronica/Drone/Dada Hütchen, dargereicht in nerdig-verspielter Experimentierwut ín Beat und Sound, kriegt ihr auch die kleinkariertesten Kratzspuren eurer letzten Houseparty easy vom Parkett runter. Empfohlene Hilfsmittel hierzu? Völlig egal… Da freut sich Gott, der Nachbar sowieso und die Sonne lacht. Doll.

 

The Uncluded

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The Uncluded.
Hokey Fright.
Rhymesayers.

Wer den Tag gerne unter dem Tisch mit einer darübergezogenen Wolldecke verbringt, wer das Wasser in der Kloschüssel dem Bierchen in der Eckkneipe vorzieht, wer selbst dem Dreck unter den Fingernägeln eine zwingende Erklärung für die Verworfenheit dieser Welt abgewinnen kann, der komme mal so ganz vorsichtig aus seinem Hühnerstall raus und ziehe sich ohne Vorbehalte diese unglaublich alberne, „Die-Sendung-mit-der-Maus-macht-jetzt-auf-Indie-Rap“ Kollaboration zwischen Kimya Dawson und Aesop Rock über die Ohren und lässt das Ganze ein paar Runden im Kopf rumzuckeln. Ok, die Hardliner dürfen jetzt wieder in ihre selbstgeknüpften Ganzkörperkondome flüchten, und ja, Dawson hat schon mal ein Album für Kinder releast – geschenkt. Das HIER zaubert ganz unangestrengt ein riesiges, grinsendes Loch zwischen die Ohren, damit zeugt man Unmengen lustiger Nachfahren, versprochen.

Rauelsson

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Rauelsson.
Vora.
Sonic Pieces.

Wunderbar offener, suchender Release von Rauelsson aka Raúl Pastor Medall, der unlängst aus den USA zurück in sein Geburtsland Spanien gezogen ist. Der Artist, der mit Peter Broderick für das Hush Label das Album „Rèplica“ einspielte, zeichnet auf „Vora“ eine verlassene, sehnsüchtige Landschaft und es fällt schwer hier keine Bezüge zur aktuellen politischen Situation, vor allem zur dortigen, desaströsen Jugendarbeitslosigkeit zu ziehen. Dem Ambient/Minimal/Album ist eine sehr verhaltene Hoffnung unterlegt, das Land darbt und dennoch – es muss – es wird weitergehen. Dem ab und an auftretenden zarten Nippen am gefälligen Genre Schwulst sei gerne verziehen, selbst wenn es gerade für solcherart Musik etwas zu warm ist.

Lussuria

lussuria

Lussuria.
American Babylon.
Hospital Productions.

Für all diejenigen, denen Andy Stott wieder einen freudigeren Blick auf Techno und dessen dunkle, unausgeleuchteten Winkel eröffnet hat, setzt Hospital Productions mit Lussurias Werk mehr Licht in diese nosferatu-schen, Industrial und Ambient durchsetzten Kammern. 2012 in Dreierserie und Miniauflage von 99 Kopien auf Kassetten erschienen, drängen aus allen Ritzen und Fugen der acht Tracks des Albums schwärzestes schwarzes Schwarz. Selbst unter Zuhilfenahme aller einsetzbaren Resentiments gegenüber genrespezifischen Klisches und Albernheiten umstrickt „American Babylon“ Kopf und Gehör schlichtweg dicht und gnadenlos. Sosehr auch alle Farbtöpfchen, aus denen hier eifrig gesogen wurde offensichtlich ihren Nachklang haben, sosehr Horror, Klaustrophobie und Endzeit eigentlich zu spitzbübig ritualisierter Produzentenfertigkeit verkommen schienen – hier harrt der wahre sinistre Meister deiner Seele. Lustig zweideutig daran ist nur dass Lussuria im Italienischen Lust bedeutet. Ehem – ja. Na dann.

Julia Holter

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Julia Holter.
Tragedy.
Domino Recording Co.

Reissue von Holter’s 2011er Release auf Leaving Records. „Tragedy“ ist eine Bearbeitung der Tragödie „Hyppolytus“ von Euripides, eine klassische Inszenierung um Ränkespiele der griechischen Götter, all included, verschmähte Liebe, Hass, Rache und Tod. Man kann jetzt nicht mit eindeutiger Sicherheit sagen, ob es die Künstlerin bedauert, den täglichen Unbill nicht mehr den Intrigen gelangweilter Unsterblicher zuschreiben zu können. Diese Frage ist bei der Finesse wie Julia Holter hier Field Recordings, Drones, Ambient, Neo-Classical und Electronica zu einem einzigartigen Erlebnis verdichtet auch definitiv nebensächlich, alles zusammengefasst durch ihre Stimme – Laurie Anderson wäre ein möglicher, aber nur annähernder Vergleich. Die aus Los Angeles stammende Multi-Instrumentalistin und studierte Komponistin legt hier eine Komplexität an Sound und Arrangement vor, die bezauberte Sprachlosigkeit hinterlässt – und schiere Freude.

Colin Stetson

stetson

Colin Stetson.
New History Warfare Vol. 3: To See More Light.
Constellation.

Der Bass Saxophonist Colin Stetson ist ein sehr gefragter Musiker, seine Arbeit ist auf Veröffentlichungen von Tom Waits, Arcade Fire, Feist und Bon Iver zu bewundern. So ist es auch naheliegend dass Bon Iver Frontmann Justin Vernon auf mehreren der elf hier vertretenen Tracks seine Stimme leiht. Der australische Komponist und Producer Ben Frost hat die Live Improvisationen, die dem Album zugrunde liegen, aufgenommen. Dritter Teil einer Mach-mal-den-Mund-auf-und-lass-ihn-einfach-eine-Weile-offenstehen Reihe ist „New History Warfare Vol. 3: To See More Light“ ein virtuoser Furor. Das ist keine Auseinandersetzung mit einem Instrument, das ist Auseinandernehmen und Zusammensetzen eines Klangkörpers gleichzeitig und es wäre absolut wundersam, wanderte das geschundene Objekt dieser Begierde nach einer derartigen Performance nicht direkt zur Reperatur in die Werkstatt. Dieses Klappen-fliegen-Sax-bersten-Artist-explodieren spielt irgendwo zwischen Minimal, Experimental, Industrial und Emo. Emo vor allem durch die vorsichtig eingesetzten vokalen Klammern Justin Vernons: wenn du also das nächste Mal dem Ausbruch eines Vulkans beistehen möchtest – das ist die Musik dazu…

Jenny Hval

hval

Jenny Hval.
Innocence Is Kinky.
Rune Grammofon.

Alles fliesst, das ist wahrlich kein neuer Spruch, gilt aber zusehens mehr und mehr auch für Genregrenzen, die hier wieder einmal, aber aufs Nachdrücklichste und mit fesselnder Grazie von Jenny Hval niedergerissen werden. Vom altbekannten Meister John Parish produziert, umschwirrt die Norwegerin koboldgleich die Zäune um eure Häuser, links ein fettes „Pop“ Tatoo, rechts „Rock“ und ein bunt schillerndes „Electronica“ Shirt in der Mitte, gleich als sei sie der nachgeborene Zwilling der Schwedin Stina Nordenstam. Nehmen wir noch die Norwegerin Hanne Hukkelberg mit in die Mitte und unser bezauberndes Hexentrio wäre perfekt. Die Schreiberin, Journalistin und Künstlerin vermengt lässig Experiment und Provokation, ihre freizügigen Texte lassen die Pitchforkleute erröten, „The Wire“ nennt sie schlichtweg erstaunlich. Auf „Innocence Is Kinky“ nimmt Hval den Begriff Unschuld auf so gar nicht unschuldige Art und Weise auseinander und Oslo, ihre Heimatstadt bekommt so richtig was auf die Nüsse. Absolute Anspieltips sind „Mephisto In The Water“ und „Death Of The Author“. Herrlich sag ich da nur, herrlich.

Greg Haines

haines

Greg Haines.
Where We Were.
Denovali Records.

Von Greg Haines Debut „Slumber Tides“ bis zu diesem, seinem fünften Soloalbum ist ein sehr weiter, spannender Weg. Wer Haines anlässlich der Veröffentlichung der Compilation „Reflections On Classical Music“ 2008 live im Tresor spielen hörte, hätte sich bei dessen atmosphärischen, cellobasierten Wall-of-Sounds schwer vorstellen können, wo der junge Künstler dereinst landen würde. Während anderenorts weiterhin mit solchen angestaubten Brettern das Sackhaar gebauscht wird, hat sich Haines weg von den stark abgetrampelten Pfaden romantischer, klassisch inspirierter Kammerspielereien entfernt.

Auf „Where We Were“ lässt Haines das Streichwerk gänzlich ruhen und wendet sich der Schichtung von Synthezisern und Rythmusgeräten zu. Stilistisch sehr intelligent immer wieder von Dub zu Techno springend, baut sich das Album in Wellen auf und ab, euphorische Drumsequenzen wechseln zu langsam wegtauchenden Synthteppichen. Das ist so alles noch nichts wirklich Neues, Carl Craig und Moritz von Oswald haben mit ihrem „Recomposed“ Album diese Strecke schon abmarschiert. Haines fasst das Material aber anders, intelligenter an, die Wechsel in Stimmung und Schlagwerk wirken feiner und geschmeidiger. Hier und da klingen winzige Krautelemente Can-scher Machart durch die Stücke, die frühen Arbeiten von Tangerine Dream, von Haines sehr geschätzt, drücken seitlich in das Werk, nur um sogleich wieder von ruhigeren, weniger massiv gesättigten Passagen abgewechselt zu werden.

Der in England geborene und aufgewachsene Musiker und Komponist, der seit 2008 in Berlin lebt, hat zunächst Piano, dann Cello gelernt, was die Rückkehr zu den Tastenelementen erklären könnte. Hinzukommt ein nicht zu verdeckender Spieltrieb und die Bereitschaft den dramatischen Wechsel zwischen Himmelhoch und Zutiefstdarnieder darstellen zu wollen.  Wobei wir genau an der Sollbruchstelle emotionlaer Ehrlichkeit angekommen sind – den leider viel zu oft auftretenden,  ungewollten und schnöden Wechsel von Drama zu Kitsch. Haines scheint sich dieser Gefahr sehr wohl bewusst zu sein, schleicht er doch zu gerne und immer wieder um diesen Punkt herum, ohne jedoch in dieses dunkle Loch zu fallen. Dieses sehr sensible Vor und Zurück, ein Tasten erst, dann ein wild berauschter, hingerissener Tanz, gefolgt von Ermattung und Rückzug ist eine wunderbar feinsinnige Spiegelung menschlicher Seelenzustände, deren stetigem Sog man sich schwer entziehen kann. Der einjährige Schaffensprozess des Albums hat ein sehr reifes Werk entstehen lassen. Von den Aufnahmen improvisierter Elemente, über die Bearbeitung durch analoge Bandmaschinen bis hin zur Mischung in Nils Frahms Studio, der hier auch noch lobend erwähnt sein sollte, zieht sich ein beindruckend zwingender Faden, dessen Genuss man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte.