Rewind: Klassiker, neu gehört
Joy Division – Unknown Pleasures (1979)
Das Filter – Gespräch: Thaddeus Herrmann, Martin Raabenstein vom 04.02.2019
43 Songs, vier Singles, drei EPs, zwei Alben und gut 120 Konzerte: Das ist die viel zu kurze Geschichte von Joy Division – abgearbeitet in nur 29 Monaten im Zeitraum zwischen 1978 und 1980. Dann, am 18. Mai 1980, erhängte sich Ian Curtis, der charismatische Sänger der Band, einen Tag, bevor er mit seinen Mitmusikern zur ersten USA-Tour aufbrechen sollte. Ein perfekter Mythos für die nach Orientierung suchende Post-Punk-Jugend des runtergekommenen British Empire. Der Bogen in die Gegenwart könnte offensichtlicher nicht sein. Am 20. Juli 1976 besuchten die beiden Schulfreunde Bernhard Sumner und Peter Hook das Sex-Pistols-Konzert in der Lesser Free Trade Hall in Manchester, kauften sich Instrumente und gründeten die Band „Warsaw“. Curtis war als Sänger schnell dabei und nach einem personellen Gerangel war die finale Besetzung mit Drummer Stephen Morris schließlich komplett. Unter dem neuen Namen Joy Division begründete das Quartett die Manchester-Musiktradition und die Legende rund um ihr Label Factory Records. Die großen Hits „Love Will Tear Us Apart“ und „Atmosphere“ spielen im dystopischen Klangkosmos der Band dabei nur eine von vielen Rollen – dem wahren Sound der Musiker werden diese Songs nur bedingt gerecht. Und sind beide nicht auf dem Debütalbum „Unknown Pleasures“ zu finden – aufgenommen von Martin Hannett im April 1979 im Strawberry Studio in Stockport – dieser nicht minder unwirtlichen Stadt, knapp zehn Minuten mit dem Zug von Manchester entfernt. Und heute? 40 Jahre später? Fahren Martin Raabenstein und Thaddeus Herrmann zwar nicht nach Manchester (Budget-Probleme!), um ganz nah dran zu sein, fragen sich aber, wie hell das vermeintliche Meisterwerk heute noch strahlt.
Martin Raabenstein: Der von uns erst kürzlich besprochene Nick Drake hatte es zu Lebzeiten wenigstens auf drei Alben gebracht, Ian Curtis nur auf eines. Bevor das zweite Joy-Division-Album „Closer“ erschien, war er, dreiundzwanzigjährig, schon tot. Melodrama, Paranoia und Depression, die ureigenen Ingredenzien für eine durchwachsene Mythenbildung. Der unerbittliche Nerd muss die Lyrics von „Unknown Pleasures“ nicht lange durchwühlen, um auf zielführende Hinweise zu stoßen. Bei „Insight“ heißt es unter anderem „But I don’t care anymore, I’ve lost the will to want more, I’m not afraid at all …“. Was machst du, wenn dein best buddy solche Lyrics ausstößt, vor allem in solch düsteren, grau verschlierten No-Future-Zeiten, wie Ende der Siebziger? Holt man den Arzt, kramt Mamas kleine Helferlein-Pillen raus?
Thaddeus Herrmann: Ich kenne Manchester ganz gut, auch bereits vor dem Bombenanschlag. Mich wundert das alles nicht besonders. Der Norden des Landes hatte den Kampf verloren. Das ist auch der Grund, warum die lokalen Szenen – die in Manchester wurde ja praktisch durch Joy Division begründet, zumindest was die Wahrnehmung auf der globalen Karte der Post-Punk-Popkultur angeht – sich auch bewusst abgrenzten gegen London. Manchester, Sheffield, Leeds: Der Sound mag unterschiedlich sein, das Phänomen ist aber ganz ähnlich. Die Einflüsse dürften überall die selben gewesen sein. Details »