Von der frivolen Erhabenheit des Banalen

von | Sep 9, 2014 | Allgemein, Archiv 2014 | 0 Kommentare

schweini_pixVon der frivolen Erhabenheit des Banalen.
Der Held und sein Weg.

Wenn das Krokodil kommt, schreien die Kinder. Immer. Kasperles Ignoranz ist der ultimative Garant für brüllende Massenhysterie. Er muss sich einfach dumm stellen, kann nicht anders als in die falsche Richtung schauen. Das nennt man geschickt inszenierten Spannungsaufbau und lässt die Zuschauerschaft von sprachlosem Verharren in hellste Aufgegung taumeln. Aber der Held wird gewinnen, das ist die Regel. Immer. Dass seine Klatsche zufälligerweise dem Maul des Krokodils in der Form sehr ähnelt muss nicht auffallen. Das ist schlussendlich egal, denn diese beisst nicht und ist nur das schlagende Instrument seiner Rache. Ohne diese Klatsche ist er hilflos.

Die Figur des Kasperle hat eine lange Tradition, ihre Spur lässt sich zurück bis ins 17. Jahrhundert verfolgen. Seine europäischen Kollegen heissen Punch, Guignol oder Pulcinella und kämpfen wie er gegen die in die Kinderwelt übertragene Unwegbarkeit der Welt. Es wird geschubst, gerangelt und geheult. Alles Elend der Existenz findet hier seine Paralelle zum kreischenden Schäufelchenhandgemenge des heimischen Sandkastens. Auch das Männchen mit der Mütze muss sich unentwegt behaupten, und weil er selbst die wagemutigsten Abenteur mit kindgleichem Ungestüm und forschen Sprüchen zu meistern weiss, identifiziert sich seine kleinwüchsige Zuschauerschft umgehend und endgültig mit ihm.

Die Faszination am Kinderhelden findet in der Geschichte selbstverständlich umgehend eifrige Nachfolger. Nur in Einem unterscheiden sie sich grundlegend von ihrem Original – sie sind nicht mehr der schlagende und ungeschlagene Sieger. Ob man hier die zu Körnern vermahlenen Wilhelm Busch Bösbuben „Max und Moritz“ heranzieht, den permanent in psychedelischen Magenverstimmungen erliegenden „Little Nemo“ von Winsor McCay oder Donald Duck, der, mittlerweile achtzigjährig aber nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deshalb, tolpatschig zischelnde Seemannsanzugsträger. Alle müssen wahrlich um ihren Sieg ringen oder sind, wie die Buschjungens, am Ende gar tot – trotz spielerischer Ãœberlegenheit.

Den meisten gelingt es an der Schwelle zum mühevollen Erwachsenwerden leider nicht die Begeisterung für diese Kleinheroen fortzuführen. Wie im Jahr 2000 stirnrunzelnd vom Spiegel aufgedeckt, füllten donaldistisch unterwanderte FAZ Redakteure deren streng klassisch gehaltene Artikelüberschriften mit direkten Zitaten aus den Sprechblasen ihrer favorisierten Entensaga. „Hört sich an wie nahes Donnergrollen“ könnte durchaus mit dem amerikanischen Unabhängigkeitstag in Verbindung gebracht werden, stammt aber im Original aus der Feder der deutschen Carl Barks Ãœbersetzerin Erika Fuchs und inszeniert frohlockend der Panzerknacker nahender Goldfluss. Nach der Entdeckung dieser schnöden Schurkentat blieb der schockierten Republik eine kleine Weile der Mund offen stehen.

Wer für solcherlei Spitzbübereien keine Gesichtsregung zu bieten hat, muss, in steigendem Masse an Muskelschwund und Bauchrundung zehrend, nun im wahren Leben stehend, auch seine Vorbilder ins gereifte Alter ziehen. Seit der Antike stehen alle grosswüchsigen Helden in einer Reihe hinter ihrem Original, DEM Odysseus. Von Homer in dessen beiden Epen „Ilias“ und „Odyssee“ besungen, ist dieser das an Dramen, Kriegen und Irrfahrten wohlgesättigte Blueprint. Auf über 800 Seiten legt der bärtige Grieche den tödlichen Bogen vor, den es in den kommenden drei Jahrtausenden zu meistern gilt.

Den „Indiana Jones'“ und „Die Hards“ der Neuzeit bleibt in ihren neunzigminütigen Torturen und deren unmerklich veränderten Neuauflagen wenig erspart. Getreten und geschunden, gefallen und wieder auferstanden, egal, der blutende Held blickt am Ende immer in den ruhmverheissenden Kelch der Geschichte. Das Blut ist unabdingbar, denn es scheint der einzig gültige Beweis für die Mühen des Weges zu sein. Das gilt sowohl für Bruce Willis als auch für Bastian Schweinsteiger. Ohne diese Klatsche ist diesmal der Zuschauer hilflos, ohne dieses vermeindlich körperliche Mitfühlen wüsste er unter Umständen gar nicht, was er soeben miterlitten hat. Kinder, KInder…

raabe