Rewind: Klassiker, neu gehört
Fennesz – Black Sea (2008)
Das Filter– Gespräch: Thaddeus Herrmann, Martin Raabenstein vom 07.12.2018
Auch der „Endless Summer“ ist mal vorbei. Mit dieser Platte hatte der Wiener Christian Fennesz sich selbst und der Gitarrenmusik ein Denkmal gesetzt, die Frippertronics erst angezählt und dann hinter der Granularsynthese zu Staub zerfallen lassen. Sieben Jahre, zwei Solo-Alben und zahlreiche Kollaborationen (zum Beispiel mit David Sylvian und Ryuichi Sakamoto) später entfaltet sich auf „Black Sea“ eine Art ästhetisches Best-of eines Musikers, der zwischen Drones, Ambient, Field Recordings und sinfonischen Anleihen die Tiden des verbrieften musikalischen Status Quo am Schlick packt. Martin Raabenstein und Thaddeus Herrmann kippen auf ihrer Reise nach Drone-City zunächst rein symbolisch alte Plug-Ins in den Ausguss der Geschichte, um schließlich im Fahrstuhl des Schlussakkords ein paar Vorstadttränen zu verdrücken.
Martin Raabenstein: Die Kombination Gitarre/Computer ist ureigenstes Fennesz-Feld. Ist der Komponist mit seinem vierten Studioalbum „Black Sea“ auf der Suche nach dem sinfonischen Drone?
Thaddeus Herrmann: Zunächst ist die Musik von Fennesz ja der einzige Heavy Metal, den ich mag. Ich hatte das Album wirklich lange Zeit nicht mehr gehört und zog dann in der Vorbereitung den direkten Vergleich mit dem Vorgänger – „Venice“ – von 2004. In diesen Jahren ist tatsächlich viel passiert im granulierten Nirgendwo zwischen MAX/MSP und Fender. Die Tracks wirken auf mich … durchdachter? Zumindest unaufgeregter und mit weniger Spitzen. Bis auf das Intro natürlich, aber danach entsteht eine fein wogende See der Stille. Die ganz viel von dem beinhaltet, was in den Jahren zuvor durch die Musikgeschichte gerauscht war und Eindruck hinterlassen hatte. „Black Sea“ wirkt wie ein Schlussakkord für diese Phase. The End.
Martin: Also mal wieder das Ende einer Ära. Ich habe für dieses Album keine romantischen Erinnerungen. Fennesz war damals nicht auf meinem Teller, obwohl „Cendre“ von Fennesz & Sakamoto schon ein Jahr früher erschien und bei mir am äußeren Rand der Aufmerksamkeit auftauchte. Zehn Jahre später finde ich nur noch eine leise Ahnung vor, warum mich das damals bewegt haben könnte, aber immerhin – das Werk taugt noch wunderbar als musikalische Untermalung für nebenbei. Eigenartigerweise empfand ich diese steigende Distanz gerade vor kurzem schon einmal – zu dieser Art Musik, der Zeit und allem, was sich daraus entwickelte. Mein neuerlicher Versuch, Fluid Radio zu hören, war wohl wirklich der letzte. Vieles davon hat sich für mich zu einer Art intelligenter Fahrstuhlmusik entwickelt. Gar nicht schlecht im eigentlichen Sinne, ein nicht unangenehmes Grundrauschen.
Thaddeus: Na, in dem Fahrstuhl würde ich ja gerne stundenlang cruisen. Mein Verhältnis zu Fennesz und seiner Musik ist aber auch ein bisschen atypisch. „Endless Summer“ hat mich nie interessiert. Die ganze Wiener Blase hat mich nie interessiert. Das war für mich zum Großteil immer genau die PowerBook-Musik, die die Welt nicht gebraucht hat. Aber dankenswerter Weise legte sich im Kopf von Fennesz irgendwann ein Schalter um, der mich dann ins Boot holte. Auch die Zusammenarbeit mit Sakamoto halte ich für mehr oder weniger belanglos. Wir hören hier meinem Empfinden nach die Essenz eines über Jahre entwickelten und verfeinerten Ansatzes, der nicht zuletzt dank der stetig besser werdenden Technologie zu etwas Großem gewachsen ist. Auf der Welle kann man schon mal ein paar Jahre reiten. Oder eben im Fahrstuhl fahren. Auf und ab, auf und ab, auf und ab: Die Metapher passt ja sowohl zur See als auch zum Hochhaus.