Mitgehört: Musik aus dem Filter-Schwarm
Heute: Robert Ries, angehender Politologe
Das Filter – Protokoll vom 20.05.2019
In seiner Kolumne „Mitgehört“ befragt Martin Raabenstein ganz unterschiedliche Menschen, was sie musikalisch umtreibt. Von prägenden Momenten bis zu aktuellen Highlights: Die Jukebox des Filter-Schwarms wird mit jeder Folge bunter. Dieses Mal: Robert Ries. Der 23-Jährige studiert Politologie – mit HipHop, Rock und Techno.
Lieber Robert, stell dich doch zunächst kurz vor.
Geboren wurde ich 1996 in Zweibrücken, als Sohn einer Lehrerin und eines Bildhauers. Dort habe ich auch das Abitur gemacht. Mein dreisemestriges Jura-Studium in Mannheim fand ich nur mäßig spannend, darum wechselte ich 2017 zu Politikwissenschaften mit Beifach Philosophie, ebenfalls in Mannheim. Schon früh war mir die Bedeutung von Bildung klar, darum habe ich immer darauf verzichtet, meine Lehrer grundsätzlich als scheiße abzustempeln. Doch Bildung findet man nicht nur in Klassenzimmern, sondern auch auf der Straße, so bin ich gerade dabei, während eines Urlaubssemesters die Welt zu entdecken. Die Wahrheit liegt nur im Kompromiss. Word!
Schön, dass du uns in deinen musikalischen Alltag schauen lässt. Bevor es damit losgeht: Woran arbeitest du gerade?
Vielen Dank für die Einladung! Wenn man mich sieht, wie ich gerade chille, dann denkt man wahrscheinlich, dass ich viel am Faulenzen bin. Doch das stimmt so nicht ganz. Ich arbeite einfach an mir selbst und versuche, so viele neue Eindrücke aufzunehmen, wie es nur geht. Deshalb habe ich auch mein Studium der Politikwissenschaft und der Philosophie für ein Semester pausiert, um den Frühling in ganz Europa zu verbringen. Ich war schon viel in Westeuropa, also Frankreich, Italien und Belgien unterwegs – den Osten versuche ich mir jetzt via Interrail zu erschließen. Man kann, der Globalisierung sei dank, überall mit Leuten ins Gespräch kommen, und für mich ist das immer sehr aufschlussreich. Die Politik als Ausfluss des jeweiligen kulturellen Verständnisses ist dazu auch ein hervorragender Anknüpfungspunkt. Ich bin sehr froh, von Jura zur Politikwissenschaft gewechselt zu haben, so konnte ich ein enges und lokal begrenztes gegen ein breites und globales Studienfach eintauschen.
Was hörst du zur Zeit gerne?
Nas sagt „Let Me Take A Trip Down Memory Lane“, und genau das ist mir auch wieder passiert. Mit den Red Hot Chili Peppers und System Of A Down bin ich in die musikalischen Präferenzen meiner Schulzeit abgetaucht. Also bin ich eher rockig unterwegs – wenn man mich in einem halben Jahr nochmal fragt, bin ich wahrscheinlich aber wieder hiphoppiger. Das sind so die zwei Pole, zwischen denen ich mich bewege. Beim Rock gefallen wir auch noch Bands wie Pearl Jam, Genesis oder Cake. Auf der anderen Seite stehen dann so Sachen wie Dr. Dre, Nas, Afu Ra, Jeru The Damaja oder auch neuere Veröffentlichungen von A$AP Rocky oder Anderson .Paak. Deutschsprachiger HipHop ist ein schwieriges Thema, aber auch hier gibt es Perlen, allen voran Retrogott, aber auch Haftbefehl und mein Lokalheld DCVDNS finden immer wieder ihren Weg in meine Ohren.
Musik bringt mich immer zum Träumen und gerade träume ich eben mehr die sehnsüchtigen Träume von Anthony Kiedis‘ Gesang und die groovigen, nach vorne weisenden Träume von Fleas‘ Bass. Die Peppers nehmen mich mit an einen Ort, an dem immer angenehme 23 Grad herrschen und wo es eine gute Balance zwischen Arbeit und Entspannung gibt. Für mich ist da eine unglaubliche Leichtigkeit in der Musik, die sich vor allem aus den hoffnungsvollen Melodien speist. Sie wird aber von einer Sehnsucht oder einem Schwermut begleitet, bei denen mir manchmal das Herz zerspringt. Das ist eine schön-traurige Musik, in der die Elemente des Utopischen aufeinandertreffen: Trauer um die Welt in ihrem aktuellen Zustand und Initiative zu ihrer Veränderung.
Dazu kommt dann immer noch Unterschiedliches von allen Seiten. In den langen Nächten auf den Dancefloor höre ich am liebsten Drum and Bass und Techno. Das hängt mir dann immer noch eine Weile nach. Es gibt wunderbar atmosphärische Tracks, vor allem von Leuten wie Maceo Plex oder Stephan Bodzin. Selten besuche ich Orchesterkonzerte. was aber auch einen einmaligen Reiz hat. Nur schade, dass man immer so still dasitzen muss. Jazz und Funk sind irgendwo die Basis von Rock und HipHop – da führt kein Weg dran vorbei. Das ist leider sehr zeitintensiv, und so beschränke ich mich auf die Klassiker und ein paar Rosinen.
Was macht es so speziell für dich?
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, meinem ersten iPod zu gedenken. Es war ein gelber Nano der ersten Generation. Den gab es – glaube ich – in acht Farben, und in der Werbung hatte jeder Colourway ein ihm entsprechendes Albumcover. Bei dem Gelben war es Calvin Harris – „I created Disco“. Manchmal haben wir im Schulbus auch untereinander die Player getauscht, wenn einem die eigene Musik zum Hals raushing oder wenn man neue Sachen von anderen entdecken wollte. Dann wurden zu Zwecken der Digitalisierung auch CDs mit nach Hause gegeben, natürlich kam es nie zu Verletzungen des Urheberschutzes. Es war auch immer eine Vertrauensprobe, denn wer wusste schon, ob er am nächsten Tag seine CDs wirklich zurück bekam? Das war eine tolle Zeit und eine tolle Kultur, in der es noch eine echte Wertschätzung für Musik gab. Die Musik, die uns verbunden hat, hat gleichzeitig eine soziale Interaktion befördert. Das passiert mit Spotify nicht mehr, da ist jeder für sich, eigentlich anonym, aber als narzisstischer Individualist sieht er sich als Zentrum der Welt. Es wird weniger geteilt, stattdessen schaufelt man sich voll. Deshalb benutze ich Spotify eigentlich nicht zum Musik hören – ich bleibe lieber bei meinen MP3s. Leute sagen dann: „Aber das ist doch so praktisch. Alle Alben immer verfügbar“. Gib mir das Album „Stadium Arcadium“ von den Peppers und ich habe einen Monat lang Spaß damit.
Verbringst du generell viel Zeit mit Musik? Wo hörst du am liebsten Musik und warum?
Ich höre im Durchschnitt vielleicht anderthalb Stunden Musik am Tag, mehr oder weniger bewusst. Morgens zum Kaffee, beim Abwaschen, Arbeiten oder einfach zur Entspannung. Musik hat aber auch immer einen starken Einfluss auf meine Stimmung und Aufmerksamkeit, da muss ich ein bisschen vorsichtig sein. Wenn ich konzentriert lesen will, dann kann ich zum Beispiel keine Musik hören. Am liebsten höre ich im Bus oder Zug Musik, aus zwei Gründen. Erstens gibt es dort nichts zu verpassen, kein Vogelgezwitscher und keine guten Gespräche, man ist wirklich für sich. Zweitens liebe ich es, aus dem Fenster zu schauen und meine Gedanken der Musik preiszugeben. Da zieht dann eine Landschaft vorbei, winzige Häuser liegen auf einem Hügel, dann ein Fluss, plötzlich eine lange Hecke vor dem Fenster, die ganz dicht an den Gleisen steht, man sieht dann nur grün und dann wieder eine schöne Hügelkette. Oder man fährt nachts durch die Stadt und die Lichter ziehen vorbei. Es sind dann die Momente, in denen die Musik in meinem Kopf den Soundtrack für die Bilder liefert, die ich mit meinen Augen wahrnehme.
Und dein All-time-favourite? Track oder Album?
Ich liebe solche Fragen. Einer der kürzlich hier Interviewten meinte, das wäre eher eine Frage für einen 20-Jährigen. Dem muss ich leider widersprechen. Stattdessen gibt es einfach aus den zwei Genres, die mich zur Zeit am meisten interessieren, sowas wie die Prototypen. Beim HipHop ist das „Illmatic“ von Nas, was wirklich ein Blueprint für HipHop-Alben war und auch über 25 Jahre nach seinem Erscheinen fresh wie immer ist. Beim Rock dann das oben bereits erwähnte „Stadium Arcadium“ von den Peppers – ein großartiges Doppelalbum, auf dem die ganze Bandbreite ihres Könnens zu finden ist. Für die elektronischen Beats empfehle ich hier mal ganz unverschämt meine persönliche Playlist. Da sind viele House- und wenige Tech-House Sachen zu finden. Eignet sich hervorragend als Begleitung zu Kaffee und Zigarette.