Kann das Kunst oder ist das weg?

von | Sep 9, 2014 | Allgemein, Archiv 2014 | 0 Kommentare

titelKann das Kunst oder ist das weg?
Zepter und Sloterdijk machen mobil.

Mit „Kunst hassen“ hat die „The Germans“ Herausgeberin Nicole Zepter im Herbst letzten Jahres damit angefangen, jetzt lästerts auch äusserst unwillig in Peter Sloterdijks neuem Essay „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“. Die beschauliche Alllee der zeitgenössische Kunst erhält wortgewandt angebrachte Schlaglöcher.

Des Künstlers Blick in den zeitgenössischen Spiegel gebiert schieläugig delirierende Schauspiele. Im schalen Zirkus fabulierender Innenbelauschung, zwischen chronischer Konfusion fortgesetzter Legitimationshysterie und der hilflosen Ermattung an inwendiger Unschärfe, mag die unbeschämte Markierung künstlerischer Stellung nur demjenigen abrieblos gelingen, dem Selbstrespekt unbekannt und der, im tölpelhaften Rausch farbenprächtigen Glücksrittertums, auf den modernen Wiesen monetärer Turnierleidenschaft dahintrabt. Mit siegesgesichertem Hufscharren, lächelnd und sich seiner  Prämie gewiss, feiert das von sich entgrenzte Individuum seinen triumphalen Einzug in Hallen höherer Weihen und verendet wohligmatt auf dem flauschigen Siegertreppchen öder Camouflage. So stirbt die Kunst nicht durch sich, der kleinliche Freitod derer, die sie erschaffen sollten, formuliert die Szene.

Unter dem Diktat permanenten Selbstentmachtungswillens, knietief in brillianzscheuer Authentizitätspanik versunken, schmuddeln Inhalt und Form im blubbernden Strategiesumpf. Auf dem Misthaufen schwelender Arroganz kompostiert die artistische Souveränität. Dünnlippig elitär, aber mächtig effektvoll, schwebt die Drohung über Allen, diesen mit ewiger Verdammnis im Niemandsland selbstverschuldeter Nichtigkeit zu behaften, der es wagen sollte, eigensinnig aus der stumpf dräuenden Herde auszuscheren. „Ich tue, weil ich (und was ich) will“ beflissentlich umrundend, wählt der zeitgeistig motivationskeusche Delinquent den rutschfesten Abstieg im komatösen Rückwärtsgang. Nicht ErSieEs habe die Kunst zu finden, man falle gefälligst unbeabsichtigt hinein. Dem staunbereiten Umfeld sei dann umgehend und lauthals dieser unerhörliche Fund zu vermelden. Wenn in Pasolinis „Decameron“ der dröge Edelmann in der Jauchegrube zu ersaufen droht, bildet seine herzzerreissende Bitte um Rettung mehr als nur ein schmunzelndes bon mot. „Hilfe, ich bin in die Scheisse gefallen“ umrankt als bittersüss trefflicher Rahmen die traurige Landschaft.

Die höfliche Kulisse dezent aufmerksamen Beifalls deutet auf ein noch anwesendes Publikum hinter den Absperrungen. Wie lange es der bildnerisch ungelenken Pantomime blinzelnder Jungfernschaft auch weiterhin gelingen mag, dieses traumverlorene Völkchen galant herbeizuwinken, stellen aktuelle kulturkritische Publikationen wie „Kunst hassen“ und „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ geistreich in Frage. Winzig aufperlende, erste Bläschen, mit Unmut und Ärgernis erfüllt, treiben an die opake Oberfläche tumber Dilletanz. Möge es ihnen rasch gelingen diese zu durchstossen.

„Kunst hassen“, von Nicole Zepter. 2013, Tropen Verlag / Klett Cotta.
„Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“, von Peter Sloterdijk. 2014, Suhrkamp Verlag.

Pier Paolo Pasolini / Decameron (Ausschnitt)

raabe