Was vom Sex übrigbleibt. Ein Trauerspiel.

von | Mrz 2, 2016 | Allgemein, Archiv 2016 | 0 Kommentare

sex_femWas vom Sex übrigbleibt.
Ein Trauerspiel.

Besseren Sex, eine gerechtere Welt und Lebensqualität, drei auf vollmundige Weise verknüpfte Allgemeinplätze bilden die Einleitung zu einem Pro-Feminismus-Artikel von Männern für Männer in der „Zeit“. Von Sex ist im weiteren Verlauf der Werbeschrift eigenartigerweise keine Rede mehr. Bei genauer Durchsicht erweist sich die Schrift als viellettriges, aber inhaltstrockenes „How-to-do-it“ für Feminismus Novizen. Warum also Sex hier überhaupt thematisieren? Sind wir auf der falschen Website? Dumme Leute schreiben nicht für diese Zeitschrift, so sagt man, das Dilemma scheint sich hinter mehr als einem tumb nachgebastelten Yellow-Press-Aufmacher zu verbergen.

Sex, der feuchte Angelhaken, der Schock. Sex, die Kampfansage, das kindliche Kichern darüber, die Scham. Sex in allem, in allen und doch so ein Nichtwort. Sex, du tust mir leid. Deiner natürlichen Unschuld so vielfach enthoben, bist du Spielball unendlich diverser Deutungsuniversen. Jeder nutzt, keiner schüzt dich. Keine Struktur, Metapher oder Meta-Botschaft wird dir gerecht, du verkommst zur schlüpfrigen Bananenschale des jeweils Andersdenkenden. Als Opfer deiner ehemaligen, historischen Unkorrektheit bist du hilflos den ausgeweideten Schlachtfeldern politischer Devianz ausgesetzt. Benutzt, beschmutzt, Sex, du bist soweit weg von dir, entkoppelt von deiner eigentlichen Schönheit. Dem körperlichen Akt.

Die sprachliche Ungenauigkeit im Umgang mit Sex hat tiefere Gründe. Im Dreieck zwischen Sprecher, Gesprochenem und Bewusstsein wird Sprache zur Erkenntnis. Wir versuchen uns ein Bild von etwas zu machen. Dabei ist es schwer vorstellbar daß irgend ein anderes Etwas eine solche Flut an Vorstellungen, Emotionen und Assoziationen auslösen kann wie Sex. Hüpfend machender Energizer für die Einen, löst seine pure Erwähnung bei Anderen nur Mühsal und Qual aus. Kein anderes Wort ist so unmittelbar mit individueller Psyche und Geschichte verbunden.
Dieser schwankende Seilakt über begriffliche Untiefen ist schon seit einigen Jahrzehnten Anlass geisteswissenschaftlicher Forschung. Die Begründer der Sprechakttheorie, Charles Peirce und George H. Mead, untersuchen in ihren Modellen den Zusammenhang zwischen Sprache und Inhalt. Basierend auf Ludwig Wittgensteins 1953 in den „Philosophische Untersuchungen“ veröffentlichte Theorie „Wörter dienen nicht nur der Benennung von Dingen“, gehen sie einen Schritt weiter und machen das Sprechen selbst zur Handlung, zu einem Akt. So, sagen die Linguisten, werde Sprache zu einer aktiven Veränderung von Realität.

Übertragen wir diese Erkenntnis auf den eingangs erwähnten Artikel von Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer. Aus einem gutgemeinten, mit leichten SitzPlatzFuss-Domestizierungtendenzen durchsetzten Aufruf, wird in der schieren Kombination mit dem Wort „Sex“ ein schillerndes „Wachturm“-Heilsversprechen. „Werden Sie Feminist“, so schreiben die Aktivisten in der „Zeit“, dann kommt der gute, der richtige Sex. Selten wurde ärmlicher, dünnbrettbohriger assoziiert. Denn der Umkehrschluss der Rede liegt klar auf der Hand. Männer, wenn ihr bleibt wie ihr seid und dem Feminismus nicht die Krone reicht, dann sei euch ewiges, moralisches Fegefeuer gewiss. Und schlechter Sex, oder noch tumber, nie wieder Sex.

Einen längeren Mittelfinger wird man derzeit nicht finden können, oder, um mit Francois-Marie Voltaire zu enden: „Wenn du herausfinden willst, wer dich beherrscht, finde heraus, wen du nicht kritisieren darfst.“

raabe